Klinische Gestalttherapie

Gestalttherapie ist eine humanistische psychotherapeutische Methode, die dazu einlädt, eine innere Haltung des Experimentierens einzunehmen und herauszufinden, wie wir uns zu uns selbst, zu anderen und zum Leben verhalten. So können wir uns selbst wirklich kennenlernen und wieder klarer sehen, was uns bewegt, was wir wollen, was wir können, was wir tun und was wir vermeiden. Wir werden ermutigt, das "Abgelehnte" in uns wieder anzunehmen und unsere Leben aus unserer Mitte heraus zu leben. So werden wir freier in unseren Handlungsmöglichkeiten und können Verantwortung für unser Leben übernehmen. Dabei geht es nicht nur um ein intellektuelles Verständnis. Es wird ein Raum des Erlebens geschaffen, in dem Altes wieder auftauchen und bearbeitet ... und Neues gewagt werden kann. Tiefgreifende Veränderungen werden so möglich.

Die Gestalttherapie wurde in den 50er Jahren von Fritz Perls, Laura Perls und Paul Goodman entwickelt und hat sich seither immer weiterentwickelt. Heute wird klinische Gestalttherapie international als evidenzbasiertes psychotherapeutisches Verfahren anerkannt. Es zeigt in der Behandlung von verschiedenen klinischen Störungsbildern vergleichbare Effektstärken wie die Verhaltenstherapie oder psychoanalytische Verfahren. Dass die Gestalttherapie von der kassenärztlichen Vereinigung in Deutschland nicht anerkannt wird, hat vor allem berufspolitische Gründe. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter diesem Link.

Mensch, Natur und Umwelt werden von Gestalttherapeuten als ein zusammenhängendes Ganzes gesehen, in dem sich alle Elemente in ständigem wechselseitigem Austausch befinden und sich regulieren. „Wir sind Leben inmitten von Leben, das leben will“, wie Albert Schweitzer es ausdrückt. Alleine könnten wir nicht überleben. Aber in der Verbindung mit unserem Umfeld können wir finden, was wir brauchen. So sind wir ständig damit beschäftigt, aus- und abzustoßen, was schädlich für uns ist, und aufzunehmen, was wir zum Leben und Wachsen brauchen. Das wichtigste Bedürfnis meldet sich dabei immer zuerst, die anderen warten im Hintergrund.

Der Begriff Gestalttherapie kommt aus der Gestaltpsychologie, einem Fachgebiet der Psychologie, das sich mit der Wahrnehmung des Menschen beschäftigt. Unser Gehirn organisiert Sinnesreize nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten zu sinnvollen Ganzheiten bzw. Gestalten. Wir ordnen dabei unsere Erlebnisse nach bestimmten Motiven und Interessen. Unsere Bedürfnisse bestimmen, was Figur wird und was Hintergrund bleibt. Wenn wir hungrig auf einer Party stehen, wird das Buffet zur Figur werden, wenn wir verliebt sind, ist es unser Angebeteter und wenn wir tanzen wollen, ist es die Musik. Alles andere bleibt Hintergrund, bis sich unser Interesse wieder ändert. So ist unser Leben ein Strom von Gestalten, die auf Vollendung zustreben. Sind diese Gestaltbildungsprozesse unvollständig oder irgendwie fehlerhaft, haben wir die Tendenz, diese zu vervollständigen oder zu berichtigen. "Offene Gestalten" bleiben daher bis zu ihrer Erledigung als belastende Spannung im Gedächtnis, werden leichter erinnert und treten beim Erleben ähnlicher Situationen wieder in den Vordergrund ... solange bis die "Gestalt geschlossen ist". Solange wir also beispielsweise unser Bedürfnis, einen Verlust zu betrauern, nicht wahrnehmen oder ihm nicht folgen, wird es sich immer wieder in den Vordergrund drängen ... wie ein Ball, den wir mit Kraft unter Wasser zu halten versuchen, immer nach oben drängt. Das kostet Energie!

Gestalttherapeuten gehen davon aus, dass es uns Menschen gut geht, wenn diese "organismische Selbstregulation" ungestört funktionieren kann. Wenn wir mit uns und unserer Umwelt in guten Kontakt stehen, wenn wir spüren, was wir brauchen, und für die Befriedigung dieses Bedürfnisse sorgen können und wenn wir spüren, was uns schadet, und uns davon abgrenzen können.

Eine weitere wichtige Annahme der Gestalttherapie ist, dass es uns dann gut geht, wenn wir unsere Mitte kennen und unsere Welt tatkräftig und kreativ aus dieser Mitte heraus gestalten. Unsere Mitte, unser „Seinsgrund“, unser wahres Wesen ist indifferent. Wir sind weder gut noch schlecht, wir sind weder unsere Trauer noch unsere Freude. Wenn wir damit in Kontakt sind, können wir unsere Urteile fallen lassen, uns von unseren Gedanken, Gefühlen und Selbstbildern de-identifizieren und uns neugierig und offen und mit großer Leichtigkeit und Freude auf das Leben einlassen. Wir können uns dann je nach Situation frei zwischen den Polen bewegen. Wir können standhalten oder nachgeben, wir können in Kontakt gehen oder uns zurückziehen, wir können laut sein oder leise. Gestalttherapeuten gehen umgekehrt davon aus, dass es uns schlecht geht, wenn wir dauerhaft aus unserer Mitte geraten und einen Pol überbetonen und die organismische Selbstregulation des Organismus chronisch und ohne sich darüber bewusst zu sein stören.

In einer Gestalttherapie geht es darum, sich selbst wirklich kennen zu lernen - auch die Anteile in sich, die man lieber loshaben will. Es geht darum, sich darüber bewusst zu werden, was man macht, was man wahrnimmmt, was man will, was man vermeidet und erwartet. Dabei geht es nicht nur um ein intellektuelles Verständnis, sondern um ein Erleben mit allen Sinnen. Es geht darum unseren Blick offener und liebevoller werden zu lassen, so dass unsere Erfahrungen wieder weiter und tiefer werden können. Gestalttherapie ist eine erlebnisorientierte, experimentelle und existentielle Therapieform.